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Die zahnärztliche Behandlung von Kindern und Minderjährigen

Durch eine seit dem 1. Juli 2001 in Kraft getretene Gesetzesänderung werden dem Kind und Jugendlichen mehr Rechte bei der Selbstentscheidung eingeräumt. Die Lage für den/die Zahnarzt/ärztin ist damit nicht einfacher geworden. Es gibt vier Altersklassen von Patienten:

Kinder unter 7 JahrenVollkommen geschäftsunfähig

Das ärztliche Aufklärungsgespräch ist nur mit dem gesetzlichen Vertreter (Eltern, Vormund, Sachwalter) zu führen
Kinder zwischen 7 und 14 Jahren sind unmündige MinderjährigeBeschränkt geschäftsfähig – sie können nur Rechte erwerben, sich aber nicht verpflichtenDas ärztliche Aufklärungsgespräch ist mit dem gesetzlichen Vertreter und dem Patienten zu führen. Es ist die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (Eltern, Vormund, Sachwalter) und des Patienten notwendig!

Ob Urteilsfähigkeit der unmündigen Minderjährigen gegeben ist, hat der bhandelnde Arzt zu beurteilen und mit Begründung zu dokumentieren. Im Iweifelsfall entscheidet das Pflegschaftsgericht
Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren sind mündige MinderjährigeErweitert geschäftsfähig – sie können über ihr eigenes Geld verfügen und haben erweiterte VerfügungsmachtAufklärung ist mit dem gesetzlichen Vertreter und auch mit dem minderjährigen, einsichts- und urteilsfähigen Patienten zu führen

Über nicht schwere Eingriffe kann der Patient selbst entscheiden. Eine Zahnextraktion ist ein schwerer Eingriff, über die er nicht allein entscheiden kann

Bezweifelt der (Zahn-)Arzt, dass der Patient mangels geistiger Reife oder Gesundheit die Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit der Behandlung erkennt, muss die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters (Eltern, Vormund, Sachwalter) eingeholt werden
Ab dem 18. Geburtstag GroßjährigkeitVolle Geschäftsfähigkeit = Volle Eigenverantwortlichkeit

Unzulässig vereinfachende, aber leicht zu merkende Kurzfassung

Kinder unter 7 Jahrengeschäftsunfähig, nur Eltern aufklären
7–14 Jahre: unmündige MinderjährigeEltern und Pat. aufklären
Eltern und Pat. müssen zustimmen
14–18 Jahre: mündige MinderjährigeEltern und Pat. aufklären; nicht schwere Eingriffe kann Pat. selbst entscheiden; zu Zahnextraktion müssen Eltern zustimmen
Ab dem 18. Geburtstagvolle Eigenverantwortlichkeit, darf über Zahnextraktion selbst entscheiden

Einsichtsfähige Jugendliche sind genau so aufzuklären wie Erwachsene, sie müssen auf etwaige•Nebenwirkungen und UAW (=unerwünschte Arzneimittelwirkungen) und

  • nicht mit Sicherheit vermeidbare Komplikationsmöglichkeiten, aber auch
  • auf die möglichen Folgen der Unterlassung bzw. Verweigerung einer notwendigen Behandlung aufmerksam gemacht werden.
  • Man muss als Zahnbehandler bei geplanten zahnärztlichen Eingriffen an Minderjährigen in urteilsfähigem Alter die Einwilligung des Minderjährigen selbst und auch
  • die Zustimmung der Eltern, oder des sorgeberechtigen gesetzlichen Vertreters (Pflegschaftsrichters) einholen (§ 1293 und § 1325 ABGB).
  • Die früher geltende Regelung, dass Operationen und Zahnextraktionen ohne Zustimmung der Eltern oder des gesetzlichen Vertreters nicht erlaubt sind, wurde gestrichen. Voraussetzung ist allerdings die notwendige Einsicht und Urteilsfähigkeit. Diese wiederum sind gesetzlich nicht genau definiert …
  • Bei schwereren Eingriffen, (die gesetzlich nicht genau definiert sind), muss nach wie vor die Zustimmung der Eltern
    oder der gesetzlichen Vertreter eingeholt werden. Als einzige Ausnahme hat die
  • Lebensgefahr bzw. die
  • Gefahr einer dauernden gesundheitlichen Beeinträchtigung zu gelten,

die jedoch bei zahnärztlichen Eingriffen nie vorliegt. Selbst bei einem hochfiebernden Abszeß kann durch die sofortige Gabe von Antibiotika und eine Überweisung in ein Spital so viel Zeit gewonnen werden, bis die Eltern oder der gesetzliche Vertreter einwilligen. Sollte in dieser Situation der/die im Spital tätige Kollege/in die Einwilligung für eine Inzision von den Eltern nicht bekommen, muß er sich an den Pflegschaftsrichter (an das zuständige Bezirksgericht oder in Wien beim Jugendgerichtshof, wo ein Journalrichter erreichbar sein sollte) wenden, und nur wenn das in der gebotenen Schnelligkeit nicht möglich ist, kann der/die Kollege/in die notwendige Inzision durchführen. Nur dann hat er/sie keine „eigenmächtige Heilbehandlung“ gemäß § 110 StGB durchgeführt, denn er ist durch den § 8 KAG abgesichert.

Wenn ein Patient in eine medizinische Behandlung nicht einwilligt oder die nötige Zustimmung der Eltern bzw. gesetzlichen Vertreter nicht vorliegt, ist die Behandlung nicht zulässig. Sollte sie trotzdem durchgeführt werden, liegt eine „eigenmächtige Heilbehandlung“ gemäß § 110 StGB vor.

Frage: Ist Gewaltanwendung erlaubt, wenn ein voll einsichtsfähiger Minderjähriger einen Eingriff ablehnt, obwohl der Sorgeberechtigte ihn befürwortet?
Antwort: Nein, der Minderjährige besitzt das „Persönlichkeitsrecht auf Unversehrtheit des Körpers“.

Frage: Was tun, wenn der einsichtsfähige Minderjähriger eine Behandlung wünscht, obwohl sie der Sorgeberechtigte ablehnt?
Antwort: Anrufung des Gerichtes, siehe oben.

Frage: Was tun, wenn der einsichtsfähige Minderjähriger eine Behandlung wünscht, ein Sorgeberechtigter stimmt ebenfalls zu, der zweite Sorgeberechtigte lehnt ab?
Antwort: Eine Zustimmung sollte genügen.

Frage: Wo ist die exakte Grenze, was der Zahnarzt auch ohne Zustimmung des Sorgeberechtigten tun darf?
Antwort: Eine exakt definierte Grenze gibt es nicht. In der Praxis läuft es in den meisten Fällen auf die Zahnextraktion und Operation hinaus. Eine taxative Liste aller zustimmungsbedürftigen bzw. nicht zustimmungsbedürftigen Behandlungen bzw. eine Definition derer gibt es aber nicht.

Frage: Was ist „Urteilsfähigkeit“ im Sinne des § 8, Abs. 3, KAG?
Antwort: „Urteilsfähigkeit“ im obgenannten Sinne ist die „Einsichts- und Willensbildungsfähigkeit“. Der Patient muß sich der Bedeutung und Tragweite der Zustimmung bzw. Verweigerung einer Behandlung, inkl. Nebenwirkungen, UAW und Komplikationen bewußt sein. Für den Juristen ist die Willensbildungsfähigkeit die Grundvoraussetzung für
die „Einsichtsfähigkeit“.

Frage: Kronenbeschliff eines berufstätigen Patienten unter 18 Jahre ohne Zustimmung der Sorgeberechtigten – ist das erlaubt oder verboten?
Antwort: Wenn eine „Urteilsfähigkeit“ vorlag, ist die Anfertigung einer Krone durchaus möglich. Ob bei Nichtbezahlung der Krone die Forderung auch einklagbar ist, bleibt dahingestellt. Sollte der/die Jugendliche
nicht ausreichend über ihren eigenen Verdienst verfügen können bzw. sollten finanzielle Verbindlichkeiten bestehen, wird möglicherweise keine Einklagbarkeit des zahnärztlichen Honorars gegeben sein. Sollten die Sorgeberechtigten vorher zugestimmt haben, übernehmen sie ja die Zahlungsverpflichtung.

Frage: Wo ist das zuständige Pflegschaftsgericht?
Antwort: Der gewöhnliche Wohnsitz ist ausschlaggebend. Wenn etwa ein Pflegling des Altersheimes noch eine Immobilie samt einer eigenen Wohnung besitzt, ist der gewöhnliche Wohnsitz das Altersheim.

Frage: Was ist der Unterschied zwischen einem Vormund und einem Sachwalter?
Antwort: Der Vormund hat auch Erziehungsrechte und -pflichten, der Sachwalter nicht.

Frage: Religiöse Volljährigkeit …?
Antwort: … wird in der Zahnheilkunde kaum eine Rolle spielen. Religiös volljährig ist man ab 14 Jahren. Die Entscheidung muss der Bezirksverwaltungsbehörde bekannt gegeben werden (in Wien also an die zuständige Magistratsabteilung).

In Zweifelsfällen ist es nach wie vor ratsam, die Zustimmung der Sorgeberechtigen bzw. zumindest eines Elternteiles einzuholen. Die erweiterte Freiheit der Selbstbestimmung der Jugendlichen muss letzten Endes vom Zahnarzt/ärztin verantwortet werden, der „Kopf und Kragen“ riskiert, sollte der minderjährige Patient seine Meinung ändern.

Die Zustimmung eines Elternteiles genügt, man muß nicht erst nachfragen, ob auch der andere Elternteil einverstanden ist. Wenn die beiden Elternteile widersprüchlicher Meinung sind, muß der Zahnarzt das Pflegschaftsgericht anrufen, damit dieses die endgültige Entscheidung trifft.

Verweigert der gesetzliche Vertrete entgegen der Meinung des Zahnarztes die Zustimmung zum Behandlungsvertrag oder die Einwilligung in die Heilbehandlung, muss bei einer dringenden Notwendigkeit der Behandlung das Pflegschaftsgericht angerufen werden, damit dieses eine Entscheidung trifft.

Verweigert der gesetzliche Vertreter entgegen der Meinung des Zahnarztes die Zustimmung zum Behandlungsvertrag oder die Einwilligung in die Heilbehandlung in einem nicht dringlichen Fall (zu Beispiel kieferorthopädische Behandlung), stellt dies, wenn Dauerfolgen für die Gesundheit zu befürchten sind oder die Gesundheit gefährdet ist, eine Kindesmisshandlung dar. Dies gilt auch für die Unterlassung der Weiterbehandlung, also wenn die Eltern ihre Kinder nicht mehr in die kieferorthopädische Behandlung schicken und dadurch Dauerfolgen für die Gesundheit des Kindes entstehen.

Lehnt der minderjährige Patient entgegen der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters eine Behandlung ab, muss bei einer dringenden Notwendigkeit der Behandlung das Pflegschaftsgericht angerufen werden, damit dieses eine Entscheidung trifft.

Sind Leben oder Gesundheit des Kindes gefährdet und eine dringende ärztliche Behandlung notwendig, ist eine Einwilligung der einsichts- und urteilsfähigen Kinder bzw. der Personen, die mit der Pflege und Erziehung betraut sind, nicht notwendig.
Dieser Umstand wird in der Zahnheilkunde kaum je der Fall sein. Eine Zahnextraktion kann nicht so dringend notwendig sein, dass der Zahnarzt die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nicht abwarten kann. Auch die dringliche Verabreichung von Antibiotika wird normalerweise bis zum klärenden Telefonanruf an das Pflegschaftsgericht zu verschieben sein.

Porteder, Hubert: Forensik in der Zahnheilkunde.
Wien 2001. — Anonym [scil. Günther Knogler]:
Kindschaftsrechtsänderungsgesetz. In: ÖZZ 12, 2001, 6. —
Radner, W. et al: Medizinrecht- und Risk-Management. Linz 2001. —
Radner, Wolfgang: Recht und Medizin. Vorlesung im AKH, 25. 11. 2003,
17:00. — Barth, Peter: Checkliste: Medizinische Behandlung Minderjähriger.
In: Recht der Medizin. Feb. 2005, S. 4-6.